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Donnerstag, 31. Mai 2012
Heute hielt das Institut einen Theorie-Workshop über die Gesellschaft des Spektakels: 15 ausgewählte Thesen (aus ings. 221) wurden besprochen, mal mehr, mal weniger verstanden und an Phänomene des Alltags rückgekoppelt. Auch wenn Guy Debord natürlich recht hat und es aus strategischen Gründen klug ist, immer feste drauf zu hauen, würden wir doch sagen, dass nicht jede Form unmittelbaren Erlebens in eine Vorstellung entwichen ist. Wir glauben, dass man durchaus noch etwas außerhalb der Waren-Sinnlichkeit erleben kann, auch wenn es unter den Bedingungen des Spektakels so ziemlich unmöglich geworden ist, sich beispielsweise einen Sonnenuntergang anzuschauen, ohne sich dabei mit einem Aperol-Sprizz in der Hand vorzustellen.
Wer die diskutierten 15 Thesen nachlesen will, findet HIER ein .pdf aus den verwendeten keynote-Slides (die es natürlich bei einer Diskussion über das Spektakel unbedingt braucht). Inkl. Rechtschreibfehler. Alles zitiert aus: Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels, Berlin 1986
Mittwoch, 30. Mai 2012
Im Laufe des Probewohnexperiments zeigt sich wieder einmal, dass "Alltag" nicht zuletzt eine Form in den Körper eingeschriebenen, automatisierten Wissens ist: Man zieht automatisch den Kopf auf der Treppe ins Erdgeschoss ein und greift ganz selbstverständlich zur Fernbedienung, um die Videokamera anzuschalten, bevor man die Kühlschranktür öffnet. Auch der Weg von und zur U-Bahn stellt nicht länger eine Herausforderung dar.
Vor der Automatisierung benötigen einige Abläufe in unserer Erdgeschoss WG allerdings viel Übung. Aktuelles Beispiel – auf die (ausserhalb der Wohnung am Gang befindliche) Toilette gehen, wenn man alleine in zu Hause ist: Wohnungstür zur Strasse zusperren, WC-Licht aufdrehen, WC-Schlüssel einstecken, Wohnungstür zum Gang aufsperren, Wohnungstür zum Gang zusperren, WC-Türe aufsperren […] WC-Türe schließen, Wohnungstür zum Gang aufsperren, Wohnungstür zum Gang zusperren, WC-Schlüssel aufhängen, WC-Licht abdrehen, Wohnungstür zur Strasse aufsperren.
Erleichtert wird die Adaption eines neuen Alltags dadurch, dass der eigene Schreibtisch inkl. seiner geheimen Ordnungen und Unordnungen ohnehin überall mithingenommen werden kann:
Dienstag, 29. Mai 2012
Der dritte Tag unserer 24/7-Probewohnsimulation. Mittlerweile hat unsere WG eine Alarmanlage: eine leere Flasche, die garantiert umfällt und Krach macht, wenn jemand die Eingangstür öffnet, - vermutlich eine Weltpremiere - eine analoge Dropbox, auf die alle WG-BewohnerInnen jederzeit Zugriff haben und einen virtuellen Kühlschrank dessen aktueller Inhalt HIER abgerufen werden kann.
Montag, 28. Mai 2012:
Gestern begann das Probewohnexperiment des Instituts mit dem Einzug von Ruth und Alex und dem Liveticker des Tatorts. Wer den Liveticker verpasst hat, kann ihn HIER nachlesen, wer wissen will, was Ruth eingepackt hat, kann sich das Foto anschauen:
Sonntag, 27. Mai 2012
Unter dem Titel "It is not a Test!" beginnt heute die Wiener Forschung 2012, in der sich das Institut für Alltagsforschung vor allem mit Images und Simulationen des Alltags beschäftigen wird. Was das bedeuten kann, steht in dem folgenden programmatischen Text (HIER als .pdf-Download):
Simulationen des Alltags:
Im Rahmen der Wiener Forschung 2012 wird sich das Institut für Alltagsforschung auf Simulationen des Alltäglichen konzentrieren. Der Begriff der Simulation wird dabei in seinen verschiedenen Bedeutungen und auf unterschiedlichen Ebenen eine Rolle spielen:
Das Interesse des Instituts an Simulationen wurde geweckt, als per Zeitungsannonce 3000 Leute gecastet wurden, um im neuen Terminal des Wiener Flughafens vor dessen offizieller Eröffnung die alltäglichen Abläufe zu simulieren. Hier präsentiert sich die Simulation als planerisch-experimentelle Strategie, mit der das Verhalten und Funktionieren komplexer und nicht vorhersehbarer Systeme im Modellversuch erforscht wird. Simulation als Strategie interessiert das Institut einerseits als Forschungsobjekt, das auch deshalb eine kritische Analyse verdient, weil sie die Funktion einer Kontrolltechnologie hat. Andererseits ist die Strategie der Simulation als Forschungstool interessant. So wird das Institut unter dem Titel 24/7 an zwei verschiedenen Orten „probewohnen“, um neue Formen der Alltagsgestaltung in einem 1:1 Modell im Selbstversuch zu simulieren.
Die zweite Ebene der Auseinandersetzung mit Alltags-Simulationen ist die der Simulator-Apps: Unzählige Computerprogramme und -Spiele simulieren mehr oder weniger alltägliche Beschäftigungen: vom Flugzeugsimulator bis zur Busfahrer-Simulation, vom Leben auf dem Bauernhof bis zur Familiengründung. Ein besonders skurriler Simulator ist die „Grillmeister-App“, die das Grillen auf dem iphone-Display ermöglicht: „Zum Anfachen der Glut in das Mikrophon pusten“ lautet einer der Sätze in der Spielanleitung.
Die Grillmeister-App führt direkt zu einer weiteren Bedeutung des Begriffs der Simulation: Jean Baudrillard hat über den Begriff des Simulakrums eine Ersetzung des Realen durch Simulationen des Realen innerhalb einer Gesellschaft zu fassen versucht, die Guy Debord als Gesellschaft des Spektakels gelabelt hat; eine Gesellschaft, in der „alles, was unmittelbar erlebt wurde, in eine Vorstellung entwichen ist“ (These I der 224 Thesen zur Gesellschaft des Spektakels). In einer Tradition allzu bequemer Rezeption wurden die Begriffe des Simulakrums und des Spektakels meist mit Bildern bzw. allgemein mit dem kulturindustriellen Sektor in Verbindung gebracht. Interessanter ist aber die Frage, inwiefern sich ganz konkrete und materielle alltägliche Räume als Simulakren und Spektakel begreifen lassen: Ist Starbucks nicht das beste Beispiel für die Simulation eines Cafés, obwohl der Café ganz real und gar nicht schlecht ist?
Der Begriff der Simulation ist auf allen Ebenen eng verknüpft mit der Frage der Images und des Imaginären, insofern Simulationen immer auch darauf zielen, des Alltags im Bild und in der Vorstellung habhaft zu werden bzw. - siehe Starbucks - ihn nach und durch bestimmten Images zu konstruieren. Hier tut sich ein weiteres Forschungsfeld auf, auf dem die Produktion von Bildern des Alltags untersucht werden kann: Von den Darstellungen eines Alltags zwischen Loft und Lover, wie ihn die Krönung-Light-Werbung präsentiert, über das merkwürdige Phänomen sich im Film viel schneller als im richtigen Leben bewegender Fortschrittsbalken bis zum Serviervorschlag auf der Lebensmittel-packung. Aber auch die unzähligen Ratgeber zu Selbst- und Zeitmanagement oder das Heimwerkervideo von youtube gehören hierher, insofern sie Bilder der „richtigen“ alltäglichen Lebensführung produzieren.
Das Institut für Alltagsforschung geht trotz aller Simulationen, Simulatoren, Spektakel und Images davon aus, dass die „Wüste des Realen“ (Jean Baudrillard) nach wie vor lebt. Um die Gefahr zu vermeiden, im Reich der virtueller Grillparties, simulierter Probewohngemeinschaften und blankpolierter Images verlorenzugehen, wird das Institut deshalb auch eine Reihe von Expeditionen ins richtige Leben durchführen, die für 24h in die Wiener U-Bahn, an die alte Donau oder in den 15. Bezirk führen - immer auf der Suche nach dem „richtigen Alltagsleben im Falschen“.
Freitag, 4. Mai 2012
Die Frankfurter Forschung 2012 endete am Sonntag, den 29. April, mit dem Verstauen der letzten Kabel im feuchten red-park-Keller.
Das war gelogen: Die Abrechnung will fertiggestellt und erläutert werden, Videomaterial verlangt nach Sichtung und Schnitt, das Archiv nach neuen Objekten. Aber dann ist irgendwann wirklich alles erledigt.
Den Mai wird das Institut für Alltagsforschung vor allem mit der Vorbereitung von Expeditionen und Recherchen verbringen, die im Sommer in Wien durchgeführt werden sollen. Ein wichtiges Thema wird dabei die Simulation des Alltags sein. Mehr dazu demnächst hier!
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