Archiv des Instituts für Alltagsforschung
Objekt #7

Paper: Orientierung im Alltag und am Airport - Piktogramme und Wegeleitsysteme

entstanden im Rahmen der Expedition des Instituts für Alltagsforschung an den Flughafen Wien / Schwechat, April 2011

Photos und Text: Lars Schmid

   

Wichtigstes Medium der Orientierung am Airport ist  - nicht überraschend - ein Wegeleitsystem aus Piktogrammen. Das Institut für Alltagsforschung dokumentierte und sammelte im Rahmen seiner Expeidition an den Flughafen Wien / Schwechat die Piktogramme vor Ort und stellte weitere Recherchen und Überlegungen zu Piktogrammen im Alltag an:

Es begann in Wien: Der Wiener Sozialwissenschaftler und Philosoph Otto Neurath entwickelte um 1930 gemeinsam mit dem Designer Gerd Arntz ISOTYPE (International System of Typographic Picture Education) als Methode der visuellen Darstellung von Statistiken. ISOTYPE sollte seinen Teil zur Emanzipation des Proletariats beitragen, indem es komplexe wirtschaftliche und politische Zusammenhänge auf einfache Weise darstellen und für jeden zugänglich machen kann.

Im Rahmen der Entwicklung von ISOTYPE entstanden 4000 Zeichen, darunter

Für die Olympiade in Tokio 1964 wurde erstmals ein Piktogrammsystem zur Darstellung der einzelnen Sportarten verwendet. Dieses System wurde für die Olympiade 1972 von Otl Aicher weiterentwickelt.

Otl Aicher war es auch, der für den Flughafen München 1974 ein Wegeleitsystem entwickelte, das auf Piktogrammen basierte und die Orientierung im Flughafen erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen sollte. Dies dürfte der Moment der Ankunft von Piktogrammen im alltäglichen Leben sein (und gleichzeitig ein frühes Symptom der Globalisierung).

Normalerweise braucht man auf den alltäglichen Wegen kein Wegeleitsystem, genauso wie man kein WC-Piktogramm in der eigenen Wohnung braucht. Denn die alltäglichen Wege, die Wege, die man Tag für Tag zurücklegt, sind ja gerade jene, auf denen die Orientierung beinahe vollständig automatisiert und ganz am Rande des Bewusstseins abläuft. Der Alltag führt jedoch regelmäßig auf unbekanntes, wenig vertrautes, unübersichtliches Terrain, in Räume wie Shopping-Malls, Flughäfen oder U-Bahn-Knotenpunkte. An diesen Orten kommen deshalb mehr oder weniger ausgeklügelte Wegeleitsysteme ins Spiel.


Das Wegeleitsystem beginnt lange vor dem Flughafen, auf den Autobahnen rund um Wien oder in den Bahnhöfen. Hier interessiert erst einmal nur: Flughafen, oder eigentlich ja: Flugzeug. Am Flughafen angekommen langt die Silhouette eines Flugzeuges nicht mehr.

 

Aus dem Flugzeug wird ein startendes und ein landendes für Abflug und Ankunft. Würden wir das landende Flugzeug vielleicht als abstürzendes interpretieren, wenn die ausgefahrenen Räder nicht zeigen würden, dass alles in Ordnung ist? Vor allem über diese Piktos - in Kombination mit Pfeilen und Piktogrammen für Treppen, Rolltreppen und Aufzüge - werden die Wege der Reisenden gelenkt. Das Wegeleitsystem dient erst einmal dazu, einen reibungslosen Fluss der Verkehrsströme zu ermöglichen.

Eine zweite Funktion von Piktogrammen ist die Markierung spezieller Orte zur Befriedigung dringender Bedürfnisse:

Piktogramme versprechen, den Reisenden so schnell wie möglich an diese Orte zu bringen. Zusätzlich dienen sie der Beruhigung: Wenn ich das Pikto des Raucherbereichs sehe, bin ich gleich weniger nervös. Die WC-Piktogramme sind außerdem ein klassisches Beispiel dafür, wie Piktogramme an der Konstruktion von Weltbeteiligt sind: Ganz selbtverständlich werden Frauen in Röcke und Männer in Hosen gesteckt.

Eine dritte Kategorie von Piktogrammen am Flughafen sind Piktogramm-Gebrauchsanweisungen. Dabei werden oft mehrere Piktogramme zu ganzen Piktogramm-Sätzen montiert:

Auffällig ist, dass die verwendeten Symbole offensichtlich aus einer anderen Zeit stammen: Der Notruf wird durch eine Glocke, das Telefon nach wie vor durch einen Telefonhörer alter Schule dargestellt. Wird eine Genaration, die ohne diese Telefonhörer aufgewachsen ist, überhaupt noch wissen, was damit gemeint ist? Löst sich die Verbindung zwischen Zeichen und Referent langsam auf? Und beeinträchtigt das die Lesbarkeit des Piktogramms?

Noch einmal die Frage der Lesbarkeit von Piktogramm-Kombinationen: Soll man 5 Sek warten, bevor man seinen Pass in den Schlitz schiebt? Oder geht man einfach davon aus, dass die Nutzer wissen, dass dies eine sinnlose Anweisung wäre? Missverständlich sind auch andere Piktogramme am Flughafen:

Ein kaputter Koffer. Was soll das? Findet man in der Richtung, in die das Piktogramm weist, einen Stapel kaputter Koffer? Oder kann man irgendwo in dieser Richtung eine Ecke seines Koffers zerstören? Jedenfalls bedeutet dieses Piktogramm nicht: Kofferreperaturservice, aber dahin weist der Pfeil.

Würde man bei diesem Pikto nicht eher an einen zum Tode verurteilten denken, der auf den Genickschuss wartet? Man hätte die Gewehrmündung auch darstellen sollen.


Achten sie auf Flugzeuge!? Das Auge Gottes betrachtet auch die Flugzeuge?

Zum Abschluss zwei Vorschläge, wie aus dem Orientierungssystem am Flughafen ein Desorientierungssystem werden könnte: